„Und dann haben sie Asche draufgetan..."
HAMBURG. (hpd) Der 6. Februar ist Internationaler Tag gegen Mädchenbeschneidung.
von Timothy Johnston
Dienstagsabend fand im Hamburger Metropolis-Kino die Deutschlandpremiere des Dokumentarfilms 'Handful of Ash' statt. Produziert vom Regisseur Nabaz Ahmed in Zusammenarbeit mit der deutschen Hilfsorganisation Wadi e.V., gibt der Film einen Einblick in das Tabuthema weiblicher Genitalverstümmelung - in einer Region östlich des Suezkanals, im irakischen Kurdistan.
2003 erfuhren Mitarbeiterinnen der von WADI e.V. eingesetzten Mobilen Sozialen Teams, die entlegene Dörfer in der Region Germian betreuen, erstmals von der Praxis der Genitalverstümmelung. Diese abscheuliche Tradition besteht darin, dass den Mädchen, meist vor Beginn oder während der Pubertät, die weiblichen Geschlechtsteile teilweise oder ganz entfernt werden. Betroffen sind dabei meistens die äußeren (Klitoris, Klitorisvorhaut, große Schamlippen), manchmal aber auch die inneren Geschlechtsorgane.
Viele Fälle enden tödlich
Da die Beschneidung weiblicher Genitalien, kurz FGM (Female genital mutilation), mithilfe unsteriler Werkzeuge wie Messer, rostiger Rasierklingen, spitzer Steine oder Fingernägel durchgeführt wird, kommt es neben den unsäglichen Schmerzen und den psychologischen Schäden, unter denen die Mädchen leiden, auch zu Infektionskrankheiten, die manchmal tödlich enden. So berichtet eine der befragten Frauen: „Meine Schwester blutete nach der Beschneidung zwei Tage lang, wir brachten sie zum Arzt, doch sie erholte sich nicht und starb."
Durch den Eingriff stirbt die Libido ab und so sind die Opfer nicht mehr in der Lage, sexuelle Gefühle und ein ungestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht zu entwickeln. Vermutlich wurde FGM daher in der Hoffnung entwickelt, Frauen jegliche Freude am Sex zu nehmen und sie gegenüber ihren Männern gefügig und treu zu machen.
Medizinische Mythen vermischt mit religiösem Fanatismus
Als Gründe für FGM werden je nach Kulturkreis verschiedene Erklärungen gegeben. Oft sind es medizinische Mythen, etwa dass die weiblichen Genitalien immer weiter wüchsen, würden sie nicht beschnitten oder dass die Beschneidung Gesundheit und Fruchtbarkeit verbessere.
Eine alte Dorffrau erklärt: „Was eine unbeschnittene Frau dir auch anbietet, es ist unrein. Gibt sie dir Wasser, so ist es schmutzig; bringt sie dir Essen, schmeckt es nicht."
Diese Ideen sind dabei in der Regel mit den Lehren des Islams verwoben. So erklärt ein kurdischer Dorfmullah dem Interviewer: „Die Beschneidung soll nach der Weisung von Gott und seinem Propheten durchgeführt werden. Jeder sollte beschnitten sein, Frauen, Männer, aber besonders Frauen".
Keine Erwähnung im Koran
Die Tradition der Frauenbeschneidung existierte bereits lange vor der Gründung des Islams, wird jedoch heute in nennenswertem Maße nur noch von Muslimen praktiziert.
Während die Mädchenbeschneidung im Koran ebenso wenig Erwähnung findet wie die Zirkumzision von Männern, berufen sich muslimische Befürworter der Genitalverstümmelung auf einen Hadith, also einer Überlieferung Mohammeds außerhalb des Korans, in dem Mohammed auf eine Beschneiderin trifft und ihr versichert: „Nimm ein wenig weg, aber zerstöre es nicht. Das ist besser für die Frau und wird vom Mann bevorzugt."
„Der Islam, verwoben mit anderen Ritualen, rationalisiert die brutale Prozedur" erklärt Thomas von der Osten-Sacken", Geschäftsführer von WADI e.V. „Die Frau repräsentiert die Ehre des Mannes, an ihrem Verhalten wird nicht nur er, sondern die ganze Familie gemessen."
Erste Erfolge
Von der Osten-Sacken, der einheimische Regisseur Nabaz Ahmed und ein Filmteam fuhren von Dorf zu Dorf, befragten die Einheimischen zum Thema Frauenbeschneidung und zeigten ihnen einen Film, in dem ranghohe muslimische Geistliche die Prozedur verurteilen. Eine vorläufige Erhebung ergab, dass von 1544 befragten Frauen 907 Opfer von FGM waren, also fast 60%.
In Ägypten, wo Schätzungen zufolge bis zu 97% der Frauen beschnitten sind, wurde bereits auf Initiative von TARGET von hohen islamischen Gelehrten eine Fatwa gegen FGM verabschiedet, die Verstümmelung zu einem strafbaren Verbrechen deklariert. Das Filmteam brachte den Dorfbewohnern ein schriftliches Zertifikat aus Kairo mit, um ihnen zu beweisen, dass FGM auch von ranghohen Geistlichen geächtet wird. Bei den darauf folgenden Besuchen der Dörfer stellte das Filmteam bereits fest, dass einige Familien bewusst auf die Beschneidung ihr Töchter verzichteten.
FGM keine Eigenart afrikanischer Stämme
„Unser Anliegen ist keineswegs, zu zeigen, dass außerhalb von Afrika nur die Kurden FGM praktizieren. Dieser Film wurde nur deshalb ausschließlich in kurdischen Dörfern gedreht, weil es dort bereits eine vitale Zivilgesellschaft gibt, die eine Datenerhebung überhaupt möglich macht", erklärte Thomas von der Osten-Sacken nach der Vorführung.
„Sämtliche Entwicklungshilfe-, Frauenrechtsorganisationen und die UNO haben bislang so getan, als ob Genitalverstümmelung lediglich Riten rückständiger afrikanischer Stämme sei. Dabei findet FGM mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Jordanien, Syrien, Iran und anderen Staaten im Nahen Osten, ja sogar, in Indien, Malaysia und Indonesien statt." Laut einer aktuellen Studie sind in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt, bis zu 80% der Frauen beschnitten.
Im Anschluss sprach die Initiatorin der Taskforce für effektive Prävention von Genitalverstümmelung, Ines Laufer, über Beschneidung in Europa, worüber der HPD bereits berichtete. Dabei plädierte sie für umfassende Maßnahmen, angefangen bei ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen bis hin zum Einzug des Reisepasses, wenn der begründete Verdacht besteht, das Mädchen solle zur Beschneidung ins Herkunftsland geschafft werden.
Film kommt ohne blutige Szenen aus
Besonders beeindruckend am Film ist, dass er die Zuschauer berührt, ohne dass jemals gewaltsame, blutige Szenen gezeigt werden. Allein die Gespräche mit den kurdischen Frauen und Männern, die alle in der Originalsprache mit deutschen Untertiteln zu hören sind, sorgten im Kinosaal für stille Betroffenheit.
„Meine Mutter hielt meine Hände und Füße fest und dann schnitten sie", erzählt da ein Mädchen „Ich rannte sogar zum Nachbarn rüber aber sie holten mich zurück."
Als das Mädchen Jahre später eine Ärztin aufsuchte, weil sie unfähig war, Verlangen für ihren Mann zu entwickeln, wurde sie abgewiesen mit den Worten: „Es tut mir leid, ich kann deine Geschichte nicht zurück drehen, weil dieses Stück Fleisch herausgeschnitten wurde."
Interviewt wird aber auch eine Beschneiderin, vermutlich die Dorfälteste, die lachend erzählt: „Ich habe ganz alleine alle Mädchen hier im Dorf beschnitten - mit meinen Fingernägeln reiße ich die Kurrka (Klitoris) raus! Wenn sie stark blutet, kippe ich Asche drauf und dann soll sie pinkeln. Der Urin versiegelt die Wunde."
Angesichts der Vorstellungen, die jedem Zuschauer bei diesen Worten durch den Kopf gehen, ist die Notwendigkeit einzugreifen, nicht mehr von der Hand zu weisen. Eingreifen bedeutet dabei einerseits Aufklärung und Bildung, andererseits aber auch Gesetze und Strafverfolgung.
Entscheidend dabei ist die Beendigung des Schweigens, die Aufhebung des Tabus. Die Arbeit im irakischen Kurdistan hat gezeigt, dass es in wenigen Jahren möglich ist, diese Schweigespirale aufzuheben
© hpd-online.de, 06.02.2008