Wadi Interview: Eine Hölle für Frauen?
Gola Ahmed Hama arbeitet seit 2008 als Koordinatorin von Wadi Projekten in der Pishder, einer Region in Irakisch, die nordöstlich von Suleymaniah an der iranischen Grenze liegt. Große Teile der Pishder wurden in den 80er Jahren von Saddam Husseins Truppen im Rahmen der so genannten Anfal Kampagne völlig zerstört. In der Stadt Rania begann 1991 aber auch der kurdische Aufstand, der später zur Befreiung des Nordirak von der Saddam-Diktatur führen sollte. Leider gilt diese Region aber auch als „Hölle für Frauen“, so der Titel einer Studie, die Wadi kürzlich über so genannte Ehrenmorde in der Pishder veröffentlich hat. Nirgends sonst in Irakisch-Kurdistan sind so viele Mädchen und Frauen genitalverstümmelt.
Gola Ahmasd Hama, Wadi Projektkoordinatorin in der PishderFrage: Die Pishder Region wurde in einem jüngst von unserem Büro in Suleymaniah in Zusammenarbeit mit Euch erarbeiteten Bericht als „Hölle für Frauen“ bezeichnet. Warum?
Selbst im Vergleich mit anderen Regionen in Kurdistan sieht es bei uns schlimm aus. Wir haben gerade neue Zahlen vorgelegt. In den letzten drei Jahren haben wir 13 670 Frauen und Mädchen befragt, ob sie genitalverstümmelt seien oder nicht. 12 760 davon sind es. Das ist eine Rate von fast 95%, während sie ansonsten in Kurdistan durchschnittlich bei 50-60% liegt. In vielen Schulen haben wir kein einziges Mädchen getroffen, das nicht verstümmelt ist.
So gut wie niemand kann sich seinen Ehepartner aussuchen, das arrangieren alles die Familien. Und alleine in den ersten drei Monaten diesen Jahres sind fünf Ehrenmorde gemeldet worden und acht Versuche von Mädchen, sich selbst umzubringen. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Denn noch immer werden viele Fälle von häuslicher Gewalt nicht bekannt.
F: Hat sich, wie man häufig liest, die Situation von Frauen also in den letzten Jahren verschlimmert?
Nein das kann man so nicht sagen. Früher gab es ja gar kein Bewußtsein, dass z. B. Genitalverstümmelung Gewalt gegen Frauen ist. Jeder hat das gemacht und niemand darüber gesprochen. Jetzt, nachdem wir diese Kampagne gestartet haben, ist das Thema in den Medien und man redet offen darüber. Vielen Frauen wird erst so klar, dass dies nicht etwas ganz normales ist, was man eben auch seinen Töchtern antut, sondern etwas Schlechtes. Dann gibt es Diskussionen. Wir verfolgen das jeden Tag: einige Frauen verteidigen weiterhin FGM, andere meinen, man sollte damit aufhören, weil sie nun gelernt haben, dass es schlecht ist. Solche Diskussionen gab es früher überhaupt nicht. Und in einigen Orten, wir betreuen ja zwei FGM-freie Dörfer, haben sie aufgehört. Das spricht sich herum. In anderen Orten gibt es dann Leute, die sagen, der Islam schreibt das vor und es ist gut und die ganze Kampagne sei von Feinden des Islam gesteuert.
Aber jetzt, seit endlich das Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedet worden ist, das auch FGM unter Strafe stellt, haben wir sogar die Regierung hinter uns. Und das zeigt Wirkung. Wenn jetzt zum Beispiel Mullahs sich für Frauenbeschneidung aussprechen, verstoßen sie sogar offiziell gegen das Gesetz.
F: Hilft Euch denn jetzt die Polizei und die Regierung?
Das alles ist ja erst ein Anfang. Aber wir arbeiten eng mit dem vom Innenministerium eingerichteten „Department of Combating Violence against Women“ zusammen. Wenn wir denen beispielsweise einen Fall von häuslicher Gewalt melden, dann untersuchen sie den. Auch das ist völlig neu. Früher gab es ja nicht einmal eine Behörde, an die man sich wenden konnte. Jetzt kann man die anrufen, uns oder andere Frauenorganisationen, wenn der Ehemann einen schlägt oder misshandelt. Überhaupt entwickelt sich gerade erst eine Idee davon, dass das Unrecht ist. Noch vor ein paar Jahren galt es ja als völlig normal, wenn Männer ihre Frauen oder Kinder schlagen oder mißbrauchen. Heute wehren sich viele Frauen und melden das. Und immer mehr Mädchen weigern sich einfach, von ihrer Familie, ohne auch nur gefragt zu werden, an irgendwen verheiratet zu werden.
F: Du siehst also trotz allem Fortschritte?
Ja, durchaus. Frauen entwickeln langsam eine Vorstellung davon, dass sie Rechte haben, sich nicht alles gefallen lassen müssen. Und immer mehr melden Gewalt. Auch anonym, wenn sie zum Beispiel mitbekommen, dass ihre Nachbarin ständig geschlagen wird, rufen sie an. Inzwischen hat ja fast jeder ein Mobiltelefon. Wen hätte man denn früher informieren sollen, als es keine Möglichkeit gab so zu kommunizieren wie heute?
Auch die Selbstmorde, wenn sich Mädchen verbrennen, sind ja eine Form des Protestes. Meist geschieht das, weil sie an Männer verheiratet werden sollen, die sie nicht heiraten wollen oder neuerdings sogar, weil sie jemanden lieben und den heiraten wollen, was aber die Familie dann verbietet.
Aber es wird natürlich immer noch viel zu wenig getan. Außer Wadi arbeitet eigentlich keine internationale Organisation in unserer Region, seit Jahren fordern wir, dass endlich ein Frauenschutzhaus eröffnet wird. Außer Versprechen ist da leider bislang nichts passiert. Es wäre aber sehr wichtig, dass es auch bei uns Schutzräume gibt, in die bedrohte Frauen fliehen können, nicht nur in den großen Städten.
F: Ist es also falsch zu sagen, dass die die Gewalt gegen Frauen zunimmt? Werden einfach nur mehr Fälle gemeldet?
Auf jeden Fall werden heute mehr Fälle gemeldet. Das sieht dann auf den ersten Blick so aus, als würde die Lage schlimmer werden. Wir haben ja keine Daten von vor fünf Jahren oder so, die man zum Vergleich heranziehen könnte. Ich lebe hier und glaube kaum, dass heute mehr Frauen Opfer von Gewalt werden. Eher ist man heute sensibilisiert.
Aber natürlich spielt auch eine Rolle, dass jetzt jüngere Mädchen Zugang zu Fernsehen und Internet haben und neue Vorstellungen, wie sie leben wollen. Das gibt Konflikte mit den Traditionen, den Eltern, manchmal dem Stamm oder auch den Mullahs. Und das führt häufig zu Gewalt. Aber es ist doch gut, dass diese Mädchen und jungen Frauen sich jetzt für ihre Rechte einsetzen. So etwas wäre ohne die neuen Freiheiten, die wir haben gar nicht denkbar, ohne die Talkshows im Fernsehen zum Beispiel und die Möglichkeit heute über so viel sprechen zu können als früher.
Das Interview führte Thomas von der Osten-Sacken