Irakisch-Kurdistan: Gesetzantrag zum Verbot weiblicher Genitalverstümmelung wurde dem kurdischen Parlament vorgelegt.
Die Kampagne »Stop FGM in Kurdistan« hat in ihrem Engagement zum gesetzlichen Verbot weiblicher Genitalverstümmelung in Irakisch-Kurdistan einen entscheidenden Durchbruch erzielt: dieser Tage wurde den Abgeordneten des kurdischen Regionalparlaments in Arbil ein entsprechender Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt.
Zuvor hatten sich der Frauenausschuss des Parlaments, die Sprecherin der Parlamentarierinnengruppe Pachschan Zangana sowie weitere prominente Politikerinnen und Politiker der Region sehr für diese Gesetzesinitiative eingesetzt. Ein Gesetzantrag im kurdischen Parlament erfordert als besondere Auflage die Unterstützung von zehn Parlamentariern und Parlamentarierinnen. Mit 68 Unterzeichnern wurde diese Auflage jetzt mehr als erfüllt. Nunmehr obliegt es dem Parlament, in der nächsten Zeit über diesen Gesetzentwurf abzustimmen. Zangana zeigt sich optimistisch, dass noch in diesem Jahr ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden würde.
WADI hat in den vergangenen Jahren Befragungen in 116 verschiedenen Dörfern der Region vorgenommen. Von 3665 befragten Frauen und Mädchen waren 2403 verstümmelt, dies entspricht einer Quote von 65%. Momentan führt Wadi mit sechs mobilen Teams in ganz Irakisch-Kurdistan eine wissenschaftliche Studie über Verbreitung und Ursachen von FGM durch. „Die vorläufigen Ergebnisse sind erschreckend“, erklärt Suaad Abdulrahman, Koordinatorin von Wadi in Suleymaniah, „in vielen Regionen sind über 90% der Frauen verstümmelt.“
Eine durchschlagende Kampagne
Die Kampagne »Stop FGM in Kurdistan« (www.stopfgmkurdistan.org) kann auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte verweisen. Erst im April 2007 gegründet, fand sie binnen kurzer Zeit über 14.000 Unterstützerinnen und Unterstützer. Zunehmend konnten auch Entscheidungsträgerinnen und –träger für die Sache gewonnen werden. Mit großflächigen Anzeigen in lokalen Zeitungen und selbst Fernsehspots konnte sie das Bewusstsein und den Kenntnisstand über diese Problematik in der Öffentlichkeit steigern und eine breite öffentliche Diskussion anstoßen, die vorher kaum jemand für möglich gehalten hätte. Dass dem Parlament nun nach nur einem halben Jahr ein Gesetzantrag vorliegt, ist dem großen zivilgesellschaftlichen Engagement der Fürstreiterinnen und Fürstreiter dieser Kampagne zu verdanken.
»Stop FGM in Kurdistan« ist ein Zusammenschluss von lokalen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, Ärztinnen und Anwältinnen und wird unterstützt von der deutschen Hilfsorganisation WADI e.V.. Erst 2005 hatte die Organisation, die seit Anfang der 1990er Jahre Programme zur nachhaltigen Förderung und Gleichstellung von Frauen in der Region unterstützt, die Existenz weiblicher Genitalverstümmelung im Nordirak öffentlich gemacht. "Bis dahin galt FGM als ein Problem afrikanischer Staaten", erklärt Cheman Rashid, die Projektkoordinatorin für Stärkung von Frauen von WADI in Arbil. "Über dem Thema hängt ein Tabu, das die Frauen daran gehindert hat, über ihre Probleme zu sprechen".
Aufklärung: „FGM in fünf Jahren abschaffen“
Das anstehende rechtliche Verbot weiblicher Genitalverstümmlung wäre ein erster großer Erfolg für die Kampagne. Die beteiligten Organisationen sind sich allerdings einig, dass Verbote alleine das Problem nicht lösen können. FGM (Female Genital Mutilation) ist eine gesellschaftlich tief verwurzelte Praxis, die vor Ort sowohl traditional als auch islamisch begründet wird. Aufklärung und Unterstützung müssen daher mit dem Verbot einhergehen, Ursachen und Wirkungsweisen von FGM müssen genauer untersucht werden. Eine groß angelegte wissenschaftliche Erhebung über Genitalverstümmlung, unterstützt von internationalen Organisationen wie der Schweizer Caritas, hat im Sommer begonnen. Sie wird von WADI durchgeführt und betreut. Bereits seit einiger Zeit führt WADI ein Aufklärungsprogramm durch und sucht Frauen vor allem in ländlichen Gebieten auf. Gemeinsam mit Vertretern der Ministerien für Gesundheit, Erziehung, religiöse Angelegenheiten und Justiz ist die Schaffung von Expertengruppen im Gange, um den Kampf gegen FGM in Schulen, Krankenhäusern, durch Medienkampagnen und über die Moscheen zu koordinieren. Zudem ist eine landesweite Medienkampagne geplant.
„Wir haben uns nun das Ziel gesetzt mit Unterstützung von Parlamentariern, Ministerien und Nichtregierungsorganisationen FGM binnen der nächsten fünf Jahre weitgehend abzuschaffen“ erklärt Abdulrahman.
Demokratische Initiative
Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen FGM seien auf vorbildlich demokratischer Weise erreicht worden und damit ein Beispiel für mögliche zivilgesellschaftlichen Aktivitäten im Irak und Irakisch-Kurdistan, erklärt Falah Muradkin, Projektleiter von WADI im Irak. „Noch nie hat es eine Petition ans Parlament gegeben, die auf so große Resonanz gestoßen ist.“ Sowohl Parlament als auch Exekutive hätten von Anfang an auf den öffentlichen Druck positiv reagiert und auch die Medien der Region die Kampagne mit Aufmerksamkeit verfolgt.
Wie Cheman Rashid, Vertreterin von WADI in der kurdischen Hauptstadt Arbil erklärte, sei diese Kampagne nicht nur für Irakisch-Kurdistan wichtig: „Es gibt Indizien, dass FGM in der ganzen Region verbreitet ist. In den anderen Ländern, wie Syrien oder dem Iran, existiert allerdings keine Öffentlichkeit. Schon jetzt kontaktieren uns viele Frauen aus anderen Ländern der Region und wünschen uns viel Erfolg, denn sie hoffen, dass auch dort ähnliche Initiativen entstehen könnten.“