Presseerklärung
Presseerklärung zum 6. Februar, dem Internationalen Tag der Null Toleranz gegen weibliche Genitalverstümmelung
Frankfurt/ Berlin den 4. Februar 2009
Zum Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung ruft die deutsche Hilfsorganisation WADI zu Taten statt großer Worte auf. Weibliche Genitalverstümmelung darf nicht als »kulturelle Praxis« schön geredet werden, sondern muss als das erkannt werden, was sie ist: eine gravierende Menschenrechtsverletzung, die es entsprechend zu bekämpfen gilt. Ein erster wichtiger Schritt dazu wäre, Genitalverstümmelung nicht mehr nur als ein Problem afrikanischer Staaten zu behandeln, und die betroffenen Frauen und Mädchen in den betroffenen Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens nicht mehr länger im Stich zu lassen. Nicht nur der Regierung, auch den Nichtregierungsorganisationen wirft WADI schwere Versäumnisse im Kampf gegen Genitalverstümmelung vor.
Zu kritisieren ist insbesondere der erst im vergangenen Herbst beschlossene »Aktionsplan« gegen FGM (FGM / Female Genital Mutilation = weibliche Genitalverstümmelung) als selbstreferentiell und wirkungslos. Das Papier legt ein zu starkes Gewicht auf die Eigeninteressen der beteiligten Nicht-Regierungsorganisationen, die zulasten konkreter entwicklungspolitischer Konzepte gehen. Mit Forderungen wie jener, Broschüren flächendeckend zu verteilen, ist dem Problem weiblicher Genitalverstümmelung nicht beizukommen. Andere Forderungen des Aktionsplans, wie jene nach einem eigenen Straftatbestand »Genitalverstümmelung«, sind wirkungslos und überflüssig. In Deutschland ist die an Mädchen vorgenommene Genitalverstümmelung durch die einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches zur (gefährlichen) Körperverletzung und der Misshandlung von Schutzbefohlenen längst umfassend geregelt. Derartige Forderungen dienen nur dazu, Taten- und Ideenlosigkeit zu kaschieren.
Wir sehen zugleich eine fatale Tendenz, die vielen Hinweise auf die Existenz weiblicher Genitalverstümmelung in den Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens zu ignorieren. WADI fördert seit 2005 ein Programm gegen Genitalverstümmelung im kurdischen Nordirak, wo zwischen 60 und 70 Prozent der Frauen und Mädchen verstümmelt sind. Gleichwohl bleibt der Nordirak in vielen Berichten zum Thema, wie bspw. demjenigen des UN Kinderhilfswerks UNICEF, weiter unerwähnt. Die Begründung, es lägen keine »offiziellen Daten« über die Verbreitung von FGM in diesen Ländern vor, gibt dabei nur die halbe Wahrheit wieder, wenn zugleich schweigend hingenommen wird, dass die Regierungen betroffener Länder jede kritische Erhebung der Gesundheitssituation von Frauen ablehnen. Wer dies schweigend akzeptiert und aus dem Nichtvorhandensein von Datenmaterial auf das Nichtvorkommen von FGM schließt, lässt die betroffenen Frauen und Mädchen auf fatale Weise im Stich. Neben dem Irak wird FGM auch aus Teilen des Iran, aus Indonesien und anderen Ländern gemeldet. Es ist leider davon auszugehen, dass weibliche Genitalverstümmelung ein weitaus größeres Problem darstellt, als bislang weithin angenommen.
Die in vielen Ländern durchgeführten Programme gegen FGM zeigen zugleich, dass ein wirkungsvolles Vorgehen gegen Genitalverstümmelung möglich ist. Keineswegs sind die Betroffenen willenlose Opfer. Bildung und Aufklärung wirken besser als harte Strafen, die betroffenen Frauen sind offen für Veränderung. Dazu bedarf es finanzieller und politischer Anstrengungen, aber auch neuer und unbürokratischerer Wege der Umsetzung. Die Verstümmelung weiblicher Sexualorgane steht in engem Zusammenhang mit einer allgemeinen Missachtung fundamentaler Rechte von Frauen und einer substantiellen Schlechterstellung in den betroffenen Gesellschaften. FGM ist nicht alleine ein medizinisches Problem. Dieselbe Geschlechterapartheid, die FGM hervorbringt und begünstigt, ist ursächlich auch für Unterentwicklung und undemokratische Herrschaft. Will man wirkungsvoll und nachhaltig dagegen vorgehen, so muss die soziale und rechtliche Situation von Frauen insgesamt verbessert werden.
FGM ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, unter der weltweit Millionen von Frauen und Mädchen leiden. Zum Internationalen Tag gegen die weibliche Genitalverstümmelung wünschen wir uns daher nicht noch einen Aktionsplan, sondern die Einsicht, dass der Kampf gegen FGM keine Nebensächlichkeit ist, sondern zur Chefsache erklärt werden muss.
Für den Vorstand von WADI
Thomas Uwer
PS: Zum 6.2.2009 findet auch ein völliger Relaunch der Kampagnenseite www.stopfgmkurdistan.org statt.