Der Grenzzaun trennt die Türkei nicht nur von Nordirak, sondern auch von der weiblichen Genitalverstümmelung
Südöstlich der Türkei ist FGM weiterhin nicht strafbar / TURKISHPRESS 7.1.2011
Es stehe zwar nicht im Koran, jedoch “könnten” die Entscheidungsträger selbst darüber befinden, ob es tragbar ist oder nicht. In Anbetracht der Gesundheit des Kindes sei es aber besser, die Beschneidung abzulehnen Was in der Türkei eine schwere Straftat darstellt und drakonische Strafen nach sich ziehen würde, ist nur ein Steinwurf entfernt immer noch legal und weit verbreitet. Seit 2007 ringt man im kurdischen Autonomieparlament um die Durchsetzung eines Gesetzesentwurfs das die weibliche Genetialverstümmelung gesetzlich unter Strafe stellen soll. Der Frauenausschuss des kurdischen Regionalparlaments dass die Initiative der “Stop FGM in Kurdistan” im Nordirak mitträgt, steht dennoch mit dem Entwurf in einer Endlosschleife. Auch die Fatwa der geistlichen islamischen Führer im Nordirak konnten sich nicht durchringen, die weibliche Genetialverstümmelung kategorisch abzulehnen. Es stehe zwar nicht im Koran, jedoch “könnten” die Entscheidungsträger selbst darüber befinden, ob es tragbar ist oder nicht. In Anbetracht der Gesundheit des Kindes sei es aber besser, die Beschneidung abzulehnen, so das Urteil der höchsten geistlichen Instanz im Nordirak.
Bereits Anfang 2007 hatten Initiativgruppen und Hilfsorganisationen mit einer Petition FGM öffentlich publik gemacht und das Regionalparlament damit aufgefordert, ein Gesetz zu verabschieden, dass diese Praxis unter Strafe stellt. Zunächst schien es auch so, dass die Mitglieder des Parlaments für die Annahme eines entsprechenden Gesetzes gegen die Praktizierung der FGM stimmen würden; das konnte aber bis heute nicht verwirklicht werden. Eine umfassende Anti-FGM-Kampagne Anfang 2009, in Zusammenarbeit mit der regionalen Gesundheitsbehörde, endete nach nur wenigen Monaten. Auch nach der Regierungsbildung im Juli 2009 änderte sich an der Haltung der Regionalverwaltung wenig. Teilweise sollen die Bemühungen der Hilfsorganisationen unnötig erschwert worden sein, heißt es u.a. in einem Bericht der Human Rights Watch (HRW) und die WADI e.V. – eine deutsch-österreichischen Hilfsorganisation – stellt fest, dass trotz einer selbst erklärten formellen Anordnung des nordirakischen Justizministeriums, die Polizei nicht einschreite. Man zweifle auch daran, dass die Anordnung je bekannt gegeben wurde und überhaupt in die Praxis umgesetzt werden kann. Damit ist die Bekämpfung des FGM weiterhin in den Händen der Selbsthilfegruppen und Hilfsorganisationen im Nordirak, die teilweise gegen Traditionen ankämpfen, die über Generationen hinweg weiter gegeben wurden.
Die Human Rights Watch stellt dabei fest, dass nicht nur Muslime, sondern auch Christen und Jeziden an dieser Praxis teilnehmen Der deutsch-österreichische Hilfsverein WADI e.V. veröffentlichte 2010 eine flächendeckende, repräsentative Studie, in der neben der FGM-Rate auch zahlreiche weitere Zusammenhänge untersucht wurden. Die ermittelte durchschnittliche FGM-Rate lag dabei mit 72,7% höher als die erste Studie der HRW. Stadt- und Land-Unterschiede ließen sich dabei kaum feststellen. Die Raten in den einzelnen Provinzen nahe der türkischen Grenze lagen dabei von bis zu 63%. Je weiter die Provinzen südöstlich lagen, desto höher wurde der prozentuale Anteil, in der Provinz Kirkuk bis zu 81,2%, wobei auch Bildung eine besondere Rolle spielten. Als einzige Provinz direkt an der Grenze zur Türkei wurde Dohuk von der Untersuchung ausgenommen; es verdichten sich aber nach Angaben der WADI Hinweise darauf, dass FGM hier kaum praktiziert wird (weit unter 10%). Die Human Rights Watch stellt dabei fest, dass nicht nur Muslime, sondern auch Christen und Jeziden an dieser Praxis teilnehmen, zumeißt unter Frauen traditionell weitergereicht und von Großmüttern durchgesetzt wird. Viele Großmütter sollen dabei die Tradition damit begründen, dass eine von nicht beschnittenem Mädchen oder Frauen zubereitete Mahlzeit Tabu ist.
Wie es über den Grenzzaun hinaus ausschaut ist statistisch nicht erfasst. Nach offiziellen türkischen Angaben wurden bisher keine Fälle gemeldet. Jedoch stellt die Sprecherin des Projekts der Kurdischen Menschenrechte mit Sitz in London (KHRP) während einer Konferenz im März 2009 fest, das traditionelle Geflogenheiten zumeißt innerhalb der Familien oder Sippen bleiben und schwer nachweisbar sind, so lange sich die genetial verstümmelte Frau nicht selbst offenbart. Man könne daher auch nicht ausschließen, das in der Türkei, Syrien oder im Iran FGM-Fälle anzutreffen sind. Daraufhin hatten sich Abgeordnete der AKP und CHP geäussert – Güldal Akşit (AKP), Canan Arıtman (CHP), Nevin Erbatur (CHP), Birgen Keleş (CHP) – wonach in der Türkei keine Fälle bekannt seien.