Film über Genitalverstümmelung in Kurdistan räumt mit Tabus auf
In Großbritannien ist eine großangelegte Kampagne gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) angelaufen. Die BBC sowie die linksliberale Zeitung Guardian haben jetzt einen Dokumentarfilm über den erfolgreichen Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung in Irakisch-Kurdistan gedreht. Der Erfolg war möglich durch die langjährige Arbeit der deutsch-irakischen Organisation Wadi.
Von Hannah Wettig
In Großbritannien debattiert man seit einigen Monaten, wie es möglich sein kann, dass 66.000 Mädchen und Frauen in dem Königreich verstümmelt sind. Obwohl FGM dort seit 28 Jahren verboten ist, schicken Migranten ihre Töchter in ihre Heimatländer, um die verharmlosend als Klitorisbescheidung bezeichnete Prozedur durchführen zu lassen. Mit verheerenden Folgen: Infektionen durch unsterile Instrumente und Blutungen können zu Unfruchtbarkeit und Tod führen. Menstruation und Geburt werden zur Qual, das sexuelle Verlangen ist stark beeinträchtigt. In Deutschland sieht es nicht anders aus, ein Gesetz, das FGM verbietet, wurde erst dieses Jahr erlassen.
Einigen dämmert, dass es nicht reicht, die Praxis hierzulande zu verbieten. Aber wie kann FGM effektiv bekämpft werden? Eines der erfolgreichsten Beispiele ist eine Kampagne in Irakisch-Kurdistan. In nur acht Jahren ging die Praxis dort in einigen Regionen um mehr als 60 Prozent zurück laut jüngsten Erhebungen der deutsch-irakischen Organisation WADI, Initiatorin der Kampagne Stop FGM in Kurdistan. Über diesen erfolgreichen Kampf haben die BBC und der Guardian gemeinsam zwei Dokumentarfilme gemacht. Der Film „Dropping the knife – Kurdistan“ der BBC wurde am vergangenen Wochenende in der BBC World ausgestrahlt. Eine arabische Version läuft diese Woche täglich auf BBC Arabic , wo er 30 Millionen Zuschauer in der gesamten arabischen Welt erreichen kann.
In dem Film werden die beiden kurdischen Filmemacher Shara Amin and Nabaz Ahmed vorgestellt, die unterstützt von der deutsch-irakischen Organisation WADI Jahre lang mit den Menschen über FGM gesprochen haben. Ein Ehepaar berichtet ihnen von ihrem unerfüllten Sexualleben. Eine Frau zeigt ihnen das Grab ihrer Schwester, die durch eine Infektion nach der Verstümmelung starb. Ein islamischer Geistlicher sagt, dass die Beschneidung von Mädchen Pflicht sei.
Die BBC zeigt auch wie WADI-Aktivisten Dörfer besuchen und mit Frauen über FGM diskutieren. Der irakische Leiter der Organisation, Falah Muradkhin, beschreibt wie die Kampagne an vielen Punkten gleichzeitig ansetzte. WADI konnte die Bewohner ganzer Dörfer dafür gewinnen, ihr Dorf als offiziell FGM-frei zu erklären. Sie fanden einen Geistlichen, der erklärte, dass weibliche Genitalverstümmelung gegen den Islam sei und filmten ihn für einen Aufklärungsfilm. Das kurdische Regionalparlament erließ 2011 ein Gesetz gegen FGM. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen in den kurdischen Dörfern, in denen WADI in den letzten Jahren aktiv war, sagt heute, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen wollen, weil die Praxis gesundheitlich schädlich sei.
Der Dokumentarfilm der BBC erzählt diese Geschichte nach. Zudem bricht er mit einem Tabu: Wie ein Mantra behaupten UN und Nichtregierungsorganisationen, die weibliche Genitalverstümmelung habe nichts mit Religion zu tun. Die britischen Filmemacher zeigen indes in Interviews mit islamischen Geistlichen, dass im Gegenteil hier die Mädchenbeschneidung als religiöse Pflicht gilt – wenn auch einige der Geistlichen diese Auslegung ablehnen.
Die Organisation Wadi ist eine der wenigen, die stets auf den Zusammenhang von Religion und FGM hingewiesen haben. Wenn auch die Praxis ihren Ursprung lange vor der Entstehung des Islams hat, so wird doch heute in zumindest einer Rechtschule des Islam die Mädchenbeschneidung gefordert, in zwei weiteren als gute Tat gepriesen. Weil das so ist, muss auch mit einer weiteren Legende aufgeräumt werden: Dass weibliche Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem sei. Nicht nur in Kurdistan, auch im Oman, im Iran, in Malaysia und Indonesien werden Mädchen verstümmelt. Dem Kampf gegen FGM auf dem asiatischen Kontinent widmet sich eine neue Kampagne von Wadi und der niederländischen Organisation Hivos: Stop FGM Middle East.