"Eine Handvoll Asche"
Ein aufrüttelnder Film über die tabuisierte Beschneidung im Nordirak und die Rechtfertigung der ortsansässigen Mullahs wurde vergangene Woche im Berliner Eiszeit Kino vorgestellt...
Von Juri Eber
"Durch Geschenke haben sie uns gelockt", berichtet eine der interviewten Frauen. Dann drückte man sie auf den Boden, schnitt ihnen die Klitoris heraus und machte Asche auf die blutenden Stellen, "Es hieß: Das ist Medizin.". Bei dieser noch immer weit verbreiteten Praxis werden mit Rasiermessern oder Glasscherben Teile der äußeren Genitalien irreparabel abgetrennt. Der Film "Handful of Ash" ("Eine Handvoll Asche") dokumentiert die menschenverachtende Praxis im Nordirak, der Autonomen Region Kurdistans.
Im Allgemeinen wird angenommen, dass es das Problem der Beschneidung bzw. mehrheitlich eher der Verstümmlung weiblicher Genitalien, kurz FGM (Female genital mutilation), nur in Afrika gebe. Doch Wadi e.V., ein Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit, hat in 116 verschiedenen Dörfern der Autonomen Region Kurdistans nachgefragt und rund 3665 Frauen interviewt: Von ihnen gaben 2403 an, dass sie verstümmelt wurden, dies entspricht einer Quote von rund 65%. "In den Städten ist die Quote sogar bei 80%", so Falah Murakhin, Koordinator der Wadi-Projekte im Nordirak.
Das Problem ist, so Murakhin weiter, dass "die genitale Verstümmlung in Kurdistan nie als ein Verbrechen, als ein Delikt angesehen wurde" obwohl die Folgen der "Eingriffe" verheerend sind. Sie reichen von starkem Blutverlust, Wundstarrkrampf, Entzündungen über Hepatitis, HIV, Verletzungen an Arterien, Harnröhre oder Blase bis hin zum Tod. Betroffene berichten von "wahnsinnigen Schmerzen" und "Todesängsten". Langfristige Folgen sind vor allem psychische Folgen, wie z.B. Panikattacken, Konzentrationsschwierigkeiten, Angstzustände, Depressionen und Neurosen, welche weit weniger offensichtlich sind und häufig nicht mit der FGM in Verbindung gebracht werden. Auch berichten Frauen davon, dass sie "ihrer Empfindung beraubt" worden sind oder "keinen Sex mehr haben können".
Die Begründungen für FGM sind traditioneller und religiöser Art. Ein Dorfmullah, ein islamischer Gelehrter, erklärt im Interview, dass die Beschneidung "nach der Weisung von Gott und seinem Propheten durchgeführt werden" soll und erklärt weiter: "Jeder sollte beschnitten sein, Frauen, Männer, aber besonders Frauen". Laut einer Hadith, einer Überlieferung Mohammeds, traf Mohammed auf eine Beschneiderin. Diese befragte ihn ob die Ausübung ihres "Berufes" in Ordnung sei, woraufhin er geantwortet haben soll: "Nimm ein wenig weg, aber zerstöre es nicht. Das ist besser für die Frau und wird vom Mann bevorzugt." Es gibt aber auch vereinzelt Mullahs die Fatwas, islamische Rechtsgutachten, gegen FGM ausgerufen haben, da es laut Koran verboten ist den Körper, den Gott geschaffen hat, zu verändern. Unbeschnittene Frauen gelten aber häufig dennoch als schmutzig und schändlich, da die Verstümmelung auch darauf abzielt traditionelle Rollenvorstellungen beizubehalten bzw. zu stärken.
Um in der Bevölkerung Impulse gegen FGM zu setzen, über die Folgen aufzuklären und medizinische Hilfe zu leisten, reisen frauengeführte Mobile Teams mit dem Film durch die Dörfer und halten Frauenversammlungen in den örtlichen Moscheen oder Dorfzentren ab. Nachdem das Vertrauen der Frauen gewonnen wurde, können die Betroffenen Fragen stellen und diese gemeinsam mit den Mobilen Teams, bestehend aus einer Ärztin, Psychologin und Pädagogin, besprechen. An diese Mobilen Teams, die zuerst vor allem für die medizinische Versorgung in der Region eingesetzt wurden, wurde von einzelnen Frauen das Problem FGM herangetragen, woraufhin sich Wadi e.V. zu einer "Blitzbefragung" entschloss. Bis dahin ist "niemand auf die Idee gekommen überhaupt danach zu fragen", so Thomas Uwer von Wadi e.V. und das, obwohl die WHO und weitere internationale Organisationen seid über 10 Jahren in der Region aktiv sind.
Stop FGM
Daraus resultierte eine groß angelegte Kampagne gegen FGM (http://www.stopfgmkurdistan.org) in der Autonomen Region Kurdistans. Es entstand eine Gesetzesinitiative mit dem Ziel eine Debatte über FGM zu initiieren und ein rechtliches Verbot zu erwirken. Die Petition fand innerhalb kurzer Zeit über 14.000 Unterstützer in der Bevölkerung und 68 von 110 Parlamentarier unterstützten das Vorhaben, darunter führende Politiker wie Adnan Mufti dem Parlamentspräsidenten und Pachschan Zangana der Sprecherin der Parlamentarierinnengruppe.
Innerhalb der Stop FGM-Kampagne entstand auch der 33-minütige Dokumentationsfilm "Handfull of Ash", produziert von Wadi e.V. mit Unterstützung der beiden Filmemacher Nabaz Ahmed und Sama Farek. Bemerkenswert an dem Film ist, dass er ohne boulevardeske Szenen auskommt und dennoch Vermittelt, dass FGM im Nordirak ein aktuelles und weitreichendes Problem mit vielen psycho-sozialen und physischen Folgeschäden für die Betroffenen ist.
Im vollen Eiszeit Kino in Berlin informierten Vertreter von Wadi e.V. über
den Stand der Kampagne und den zu verabschiedenden Gesetzesentwurf.
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Kampagne findet Unterstützung:
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Ein Verbot weiblicher Genitalverstümmlung in der kurdischen Autonomieregion des Irak scheint immer wahrscheinlicher. Entsprechende Rückmeldungen hat die Kampagne »Stop FGM in Kurdistan« aus dem Regionalparlament und aus Regierungskreisen erhalten...